Gütersloh. „OWL integriert! Teilhabe von zugewanderten Menschen. Sprache – Bildung – Arbeit“ lautete das Motto des diesjährigen Integrationskongresses Ostwestfalen-Lippe. Er fand zum 10. Mal statt und wurde vom Kreis Gütersloh ausgerichtet, in Kooperation mit der Bezirksregierung Detmold und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Im großen Sitzungssaal im Kreishaus Gütersloh hatte Kreisdirektorin Susanne Koch bei ihrer Begrüßung nur wenige Live-Gäste – der Integrationskongress war hybrid, online nahmen weit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Ostwestfalen-Lippe teil. Für den Kongress hatte ein Dienstleister auf einer Plattform eine virtuelle Konferenzumgebung geschaffen, auf der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer via Zoom austauschten, in einer digitalen Lounge gemeinsam Pausen verbringen konnten und online beispielsweise die Arbeit von Nadine Roßa verfolgen, die das Gesprochene per Graphic-Recording in Bilder umsetzte. Federführend für die Organisation beim Kreis Gütersloh war das Kommunale Integrationszentrum unter Leitung von Manuel Erdmeier.
Regierungspräsidentin Marianne Thomann-Stahl: „Integration geschieht vor Ort: in Schulen, bei der Arbeit, in Vereinen, in der Nachbarschaft. Damit Integration gelingt, ist Unterstützung erforderlich. Ich bin froh, dass es in Ostwestfalen-Lippe ein starkes Netz von Beteiligten und Institutionen gibt, die diese Unterstützung leisten. Insbesondere die Kommunalen Integrationszentren nehmen hierbei eine wichtige Rolle ein. Sie leisten unverzichtbare Arbeit für alle, die sich für eine gelingende Integration einsetzen. Die Bezirksregierung schätzt dieses Engagement außerordentlich und wird es auch weiterhin nach Kräften unterstützen.“
Bei ihrer Begrüßung sprach Kreisdirektorin Koch das Thema an, das sich wie ein roter Faden durch den Kongresstag zog. „Angesichts der aktuellen geopolitischen Situation, die sich sehr direkt auch auf unsere Region mit den aus der Ukraine hier Schutz suchenden Menschen auswirkt, ist unsere Thematik der ‚Integration‘ und Teilhabe aktueller denn je. Als Kreis haben wir darauf reagiert und zum 1. Juni das Kommunale Integrationszentrum als eigenständige Abteilung in unsere Verwaltungsgliederung umgesetzt.“ Eine Podiumsdiskussion, Vorträge und sieben Themenforen – auch in hybrider Form – die Situation der ukrainischen Flüchtlinge bestimmte den 10. OWL-Integrationskongress. Gonca Türkeli-Dehnert, Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, nahm bei ihrer Begrüßung die drei Themen vorweg, die in den Diskussionen eine große Rolle spielten: „Sprache, Bildung und Arbeit: Ohne diese drei Vorrausetzungen können die Menschen nicht am gesellschaftlichen Leben partizipieren.“ Und Volker Mäulen, Abteilungspräsident 4 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, ergänzte: „Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu integrieren ist eine Herausforderung, die den Einsatz von allen Beteiligten verlangt: Behörden, Wohlfahrtsverbänden, Migrantenorganisationen, Arbeitgeber/innen, Vereinen, Ehrenamt und Vielen mehr – insbesondere auf kommunaler Ebene. Die Teilhabe von zugewanderten Menschen an Sprache, Bildung und Arbeit kann nur durch eine gemeinsame, koordinierte Arbeit vor Ort erfolgreich sein und letztlich zu einer nachhaltigen, gelungenen Integration und somit zu einem ‚Ankommen in Deutschland‘ führen.“
Für Prof. Dr. Herbert Brücker, Ukraine-Experte der Humboldt-Universität Berlin, stellt die Migration aus der Ukraine eine besondere Herausforderung dar. In seinem Vortrag aufkommen, ‚Krieg in der Ukraine: Folgen für Migration und Integration‘ betonte er die große Unsicherheit, die mit der Migration aus der Ukraine einher gehe. Wie lange dauert der Krieg? Wie viele werden zurückkehren? Wie viele werden bleiben? Kommen Familienmitglieder nach? Ungewissheit erschwere die Integration, senke beispielsweise den Anreiz, die Sprache zu erlernen. „Um den Fachkräftemangel zu beheben ist die Migration aus der Ukraine daher relativ ungeeignet.“ Positiv bewertete er den Rechtskreiswechsel vom Asylbewerberleistungsgesetz hin zum SGB II, also Hartz IV. „Das wird die Integration erleichtern.“ Man müsste vielleicht immer ergänzen, die Integration derer, die bleiben wollen. Eines betonte der Professor, der an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ökonomische Integrations- und Migrationsforschung betreibt: Soll die Integration gelingen, muss die Betreuungsfrage gelöst werden, damit die oftmals hoch qualifizierten Frauen überhaupt ins Erwerbsleben starten können. Er plädierte in diesem Zusammenhang für eine Deregulierung. Es müsse möglich sein, Hilfskräfte einzusetzen, die beispielsweise nicht den Erzieherberuf gelernt hätten. Sonst scheitere die Betreuungsfrage am fehlenden Personal.
Spracherwerb, Unterbringung, Parallelen und Unterschiede zur Migration aus dem Nahen und Fernen Osten 2015/2016 – viele Themen tauchten immer wieder auf dem hybriden Integrationskongress auf. Im Unterschied zu 2015/2016 gab es zum Beispiel nach dem russischen Angriff auf die Ukraine eine sehr große private Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, die die Arbeit der öffentlichen Stellen sehr entlastet hat. In der Podiumsdiskussion wurde daher auch gewarnt, Flüchtlinge zu kategorisieren. Alle seien gleich und hätten die gleichen Rechte, zudem sei auch 2015/2016 die Hilfsbereitschaft zumindest im Kreis Gütersloh sehr groß gewesen. Auf die Unterschiede bei der Migration ging auch Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani ein. Der Professor für Bildung und Erziehung in der Migrationsgesellschaft (Universität Osnabrück) erörterte Klassenzugehörigkeit und Migration als benachteiligende Rahmenbedingungen. „Es ist allgemein bekannt, dass die Herkunft eines Kindes relativ stark seine Lebenschancen beeinflusst.“ Das gelte für im besonderen Maß für geflüchtete Kinder. „In keinem Bereich zeigt sich der soziale Unterschied so sehr wie beim Erlernen eines Instruments“, nannte El-Mafaalani. Der Zugang hänge wesentlich von der Herkunft der Familie ab. Ähnliches gelte für Sport im Verein. Im Umkehrschluss bedeute das: Musik und Sport machen ist unheimlich wichtig für den Bildungswerdegang, Kindern mit Migrationshintergrund müsse alles ermöglicht werden, was ihre Entwicklung fördert.