Gütersloh. In der Gütersloher Schaltzentrale der Pandemie, dem Gesundheitsamt des Kreises, macht die Leiterin, Dr. Anne Bunte an diesem nieseligen Abend im Januar 2021 die Leitungen auf für eine Telefonkonferenz (TelKo). Bunte sortiert ihre Unterlagen und sucht den Einwahlcode. Dass sie zur mittlerweile 42. Telefonkonferenz zum Management und der Versorgung von Covid-Patienten begrüßen würde, hätte sie vor knapp einem Jahr nicht für möglich gehalten. Bis zum 27. Januar 2020 war alles normal. Dann kam Corona.
Zweimal hat die Konferenz 2020 noch im Kreishaus stattgefunden, seitdem holt Bunte die Akteure im Kampf gegen Corona telefonisch zusammen: Niedergelassene Kolleginnen und Kollegen aus den Kommunen im Kreisgebiet, Kliniken, den Rettungsdienst, das Impfzentrum, Kinderärzte, die Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL): „Es ist anstrengend für die Teilnehmer, aber nachher wissen wir alle, wie die Situation im Kreis ist.“ Wie immer beginnt sie die Konferenz mit einem Bericht über Inzidenzwerte, den Todesfällen vor allem unter den hochbetagten und mehrfach erkrankten Heimbewohnern und der hohen Wahrscheinlichkeit, dass es neben der südafrikanischen auch die englische Variante des Coronavirus bis in den Kreis Gütersloh geschafft haben könnte.
Frühsommer 2020: Mittlerweile ist die Telefonkonferenz fest etabliert, die Neuinfektionen sinken, es gibt den größeren Ausbruch bei Westcrown in Dissen – sonst aber Einzelfälle oder kleine Cluster / Ausbrüche.
Bei der Einladung zur damals schon 14. Telefonkonferenz am 17. Juni 2020 wollte man ursprünglich – wie es im Krisenstabsjargon heißt – „vor die Lage kommen“. Was die Leiterin des Gesundheitsamtes zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: An diesem Morgen wird sie der Leiter eines Labors in OWL (Ostwestfalen-Lippe) anrufen und ihr mitteilen, dass es über 400 positive Testungen im Werk Tönnies gebe. Die TelKo wird kurzfristig am Abend um eine Stunde verschoben, weil der Krisenstab aufgrund des Ausbruchs zum geplanten Zeitpunkt noch tagte. Mit den Ärzten in den Praxen und den Krankenhäusern wird beraten, wie Erkrankte schnell und bestmöglich versorgt werden können – was dann mit Unterstützung der KVWL in kürzester Zeit umgesetzt wurde.
Aus der im Frühling einberufenen Telefonrunde zum Krisenmanagement hat sich in der Folge ein ärztlicher Qualitätszirkel entwickelt, der inzwischen sogar von der Ärztekammer zertifiziert wurde.
So sieht das auch Dr. Christina Hornberger aus der Runde der engagierten Ärztinnen und Ärzten, die sich zum Teil sogar aus dem Urlaub heraus zuschalten. Dass die Telefonkonferenz die Zusammenarbeit von Kliniken, Hausärzten und dem Rettungsdienst vereinfacht, berichtet die junge Hausärztin aus Rheda-Wiedenbrück. Es habe „extremst geholfen“, dass die Kassenärztliche Vereinigung dabei sei. Auch hitzige Diskussionen habe es gegeben. Dennoch gebe es ein sehr kollegiales Miteinander und jeder habe immer wieder das Gefühl, dass man ähnliche Probleme hat, die alleine nicht zu lösen sind. Wer macht die Weiterversorgung, wer betreut die Heime in Urlaubsphasen oder über Weihnachten? „Das Wir-Gefühl hat es gestärkt“, fasst die Internistin zusammen.
In eineinviertel Stunden ruft Bunte das Impfzentrum auf, lässt die Leiterin der Bezirksstelle der Ärztekammer berichten, bindet alle Krankenhäuser – inklusive Bielefeld als Mutterhaus zum Klinikum Halle – mit ein. Bei ihr kommen Kinderärzte zu Wort und die vielen niedergelassenen Ärzte, die an der Corona-Front in der Fläche des Kreises arbeiten – ganz nah am Patienten.
Im fachlichen Austausch wird sichtbar: Bei den Impfaktionen in Pflegeeinrichtungen wurden in Einzelfällen vor allem bei jüngeren Mitarbeitern grippale Symptome und ein bis zwei Tage Arbeitsunfähigkeit beobachtet. Auch von einzelnen allergischen Reaktionen wird berichtet und davon, dass bei manchen die Einstichstelle schmerzt. „Immunantwort“ ist die Erklärung, die die Telefonierenden haben. Während sie beratschlagen, dass es sinnvoll sein könnte, vorsorglich das eigene Personal zeitversetzt zu impfen, macht die Leiterin des Gesundheitsamtes ihre Notizen. In der nächsten Lagebesprechung des Krisenstabes wird sie wie jedes Mal einen aktuellen Bericht über den Status quo im Kreis vorlegen – samt detaillierter Einschätzungen aus der Praxis.
Ein Krankenhaus meldet in derselben ruhigen Art, wie die anderen, dass Corona-Patienten kommen und auch wieder entlassen werden. Weil es aber Infektionen ungeklärter Ursache gebe, sei ein Besucherstopp erlassen worden.
Der nächste, bitte! Die Ärztekammer und eine Klinik berichten von der Sorge von Mitarbeitern, die in der Impfpriorisierung weit hinten seien. Sie arbeiteten an vorderster Front, aber könnten noch nicht mit einer Impfung rechnen. Diese Sorge bleibt im Raum stehen.
Bunte ruft nun „Gütersloh“ auf, es folgt das gesamte Kreisgebiet bis Versmold und Werther. „Ich habe meine Struktur und die kennen die Teilnehmer.“ Vorbildlich diszipliniert berichten die Ärzte, diskutieren Fragen Diagnostik, Therapie, Umgang mit Impfmittelresten bis zu Abrechnungsthemen. Ärzte sind geübt, gut zuzuhören. Videoschalte? Nicht nötig.
Bunte wechselt zum nächsten Teilnehmer in der Audio-Konferenz. „Stabile Situation“ wird aus Halle gemeldet, es gebe aber immer wieder neue Fälle bei Mitarbeitern. Der Qualitätszirkel am Telefon diskutiert nun die Möglichkeit einer Re-Infektion und es wird klar: An der Teststrategie hält man fest. Lateinische Begriffe fallen, ebenso Abkürzungen aus dem Fachjargon.
Und immer wieder das Thema Alten- und Pflegeeinrichtungen: Die Belastung für die Bewohner und Mitarbeiter sei hoch und wird bedauert – um im nächsten Satz die Sorgfalt in den Fokus zu nehmen: „Wir können uns Lockerungen bei den Schutzmaßnahmen noch nicht leisten – wegen der Gefahr der Einträge von außen.“
Solidarisch haben sich kürzlich die Kliniken untereinander gezeigt. Das kommt noch einmal zur Sprache. Bunte in die Runde: „Ich kann mich nur noch mal bedanken, dass Impfstoff abgegeben wurde – von einer Klinik an eine andere, damit alle mit der Impfung der Mitarbeiter in den kritischen Bereichen beginnen könnten.“
Von kleinen Clustern im privaten Bereich berichtet ein Arzt. „Auf eine Ausbreitungs-Dynamik, die man sich nicht erklären kann, achten“, heißt die Empfehlung aus dem Gesundheitsamt. Bunte weiß, wovon sie redet, denn als Leiterin des Gesundheitsamtes der Stadt Köln hat sie reichlich Erfahrungen mit Infektionskrankheiten gemacht, zuletzt 2018 mit einem größeren Masernausbruch (aber auch mit Lassafieber, das erst nach dem Tod des Patienten bekannt wurde). Im Coronaausbruch bei Tönnies zog sie namhafte Hygieniker und andere Experten hinzu. Ob man nach einer PCR, die positiv war, auch nach besonderen Varianten schauen sollte, wird gefragt. „Wenn es Gründe dafür gibt, auf jeden Fall. Aktuell ist es noch keine Kassenleistung, sondern sollte mit dem Gesundheitsamt abgestimmt werden.“ Anne Bunte ist jemand, die nicht nur das Heute gestaltet, sondern schon an das Morgen denkt und damit auch an die britische Corona-Variante. Es wird vermutet, dass diese Mutante auch schon im Kreis Gütersloh ist. Nur der Beweis steht noch aus.*
* 2 Tage später wurden die ersten Fälle labortechnisch bestätigt.
Dr. Anne Bunte, die Leiterin der Abteilung Gesundheit im Kreis Gütersloh in ihrem Büro. (Foto: Kreis Gütersloh)