Internet of Things am Campus Gütersloh

Vollautomatisierte Produktionsanlage bietet vielfältige Möglichkeiten für Lehre, Forschung und kooperierende Unternehmen.

Gütersloh (fhb). Elektrische Logistikfahrzeuge, die, wie von Geisterhand gesteuert, genau an den richtigen Ort fahren. Fließbänder, auf denen Waren von Roboterarmen ihren letzten Schliff bekommen. Das hört sich nach der Produktionsstätte eines großen Industrieunternehmens an – aus der Automobilindustrie beispielsweise. Zu finden ist eine solche Fertigungsstraße aber auch am Campus Gütersloh der Fachhochschule (FH) Bielefeld, wenngleich im Miniaturformat. Denn hier am Center for Applied Data Science (CfADS) des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften und Mathematik können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende an einer modular aufgebauten, vollautomatisierten Produktionsanlage forschen und lernen.

Daten gewinnen für die Automatisierung

Entstanden ist eine sogenannte Internet-of-Things-Factory (IoT-Factory). Dabei handelt es sich um eine intelligente Fabrik, in der alle Komponenten, die am Produktionsprozess beteiligt sind – also Maschinen, Einzelteile und Aggregate –, in Echtzeit vernetzt sind und laufend miteinander kommunizieren.

„Unser Ziel ist es, eigene Produktionsdaten zu gewinnen und diese zu erforschen“, erklärt Prof. Dr. Pascal Reusch vom CfADS. Gemeinsam mit seinen Kollegen Prof. Dr. Wolfram Schenck und Prof. Dr. Martin Kohlhase baute Reusch die IoT-Factory am Campus Güterloh auf. Dort forschen sie zu Themen rund um die digitale Logistik sowie zu Automatisierungsprozessen in der Fertigung.

Bereits 2018 erhielt das CfADS die Fördermittel für die anwendungsorientierte IoT-Factory in Höhe von drei Millionen Euro. Die Realisierung der komplexen Anlage dauerte seine Zeit, seit einigen Monaten wird mit ihr gearbeitet. Die Mittel wurden jeweils zur Hälfte vom Land NRW und vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Verfügung gestellt.

„Mittlerweile nutzen wir die Anlage für verschiedene Projekte und forschen unter anderem zu Predictive Maintenance“, erzählt Reusch. Dabei wird untersucht, inwieweit aus der Analyse der verschiedenen generierten Daten künftige Störungen vorhergesagt werden können, um frühzeitig auf technische Probleme reagieren zu können und Stillstände der Produktion zu vermeiden.

Forschung nah an der Praxis

Auf Basis der Daten betreibt das CfADS darüber hinaus auch Forschung zum Thema Anlagenoptimierung: „Wir schauen uns beispielsweise an, wie lange ein Auftrag braucht, um die gesamte Anlage zu durchlaufen“, sagt Reusch. „Aus den daraus gesammelten Daten leiten wir ab, an welcher Station oder in welchem Fertigungsschritt Zeit verloren geht.“ Das Ziel ist es, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie durch geschickte Planung die Produktionszeit oder beispielsweise auch der Energieverbrauch reduziert werden können.

Die Forschungsvorhaben werden zum Teil auch in Verbundprojekten mit Unternehmen umgesetzt, darunter Miele oder die Bio-Circle Surface Technology GmbH. „Die Ergebnisse aus den aufbereiteten und ausgewerteten Produktionsdaten spiegeln wir den Kooperationsunternehmen zurück“, berichtet Reusch. Künftig plant das Team des CfADS außerdem, Algorithmen in die Anlage einzuspeisen. Diese Algorithmen sind das Endergebnis der Bearbeitung verschiedener Problemstellungen aus den Forschungsprojekten. Reusch: „Mittels der Algorithmen können die Resultate unserer Projekte an einer weiteren Anlage getestet und damit generalisiert werden – es entstehen keine Einzellösungen, sondern Unternehmen mit ähnlichen Fragestellungen können ebenfalls einen Mehrwert aus unserer Forschung ziehen.“

Vorteile auch für Studierende

Neben der Forschung und den kooperierenden Unternehmen profitieren auch die Studierenden der praxisintegrierten Studiengänge von der IoT-Factory: „Wenn es die Corona-Pandemie nicht geben würde, hätten längst sehr viele Studierende hier praktische Einblicke in die Produktion einer automatisierten Anlage bekommen“, erzählt Henrik Viebrock, wissenschaftlicher Mitarbeiter am CfADS. Da die Studierenden aufgrund des digitalen Semesters jedoch nicht vor Ort sein können, ist die direkte Interaktion mit der Anlage nicht möglich. „Deshalb entwickeln wir zurzeit eine Datenschnittstelle, sodass Studierende ohne physische Anwesenheit die verschiedenen Datenquellen der IoT-Factory dennoch nutzen können“, so Viebrock.

Trotz Corona besteht bereits heute die Möglichkeit, eine Haus- oder Abschlussarbeit rund um die IoT-Factory durchzuführen. Überdies erstellen Studierende derzeit einen sogenannten digitalen Zwilling der Anlage, also eine hundertprozentige Kopie der IoT-Factory in der Welt der Daten. „Sobald der digitale Zwilling fertig ist, können die Studierenden die Schritte der Anlage auch von zu Hause live am PC verfolgen. Das ist natürlich insbesondere für die Lehre ein Gewinn“, sagt Viebrock.

Auch für die Forschenden entsteht daraus ein großer Vorteil, so der wissenschaftliche Mitarbeiter: „Wenn ich beispielsweise betrachten möchte, wie sich ein Schaden an einem Roboter auf den Prozess auswirkt, kann ich diesen mit dem digitalen Zwilling simulieren und muss keinen realen Schaden an der Anlage herbeiführen. Denn das wird auf Dauer teuer.“

Wo bleibt der Mensch bei alldem?

In Zukunft wollen die Beteiligten außerdem ein humanzentriertes Smart-Service-Lab in die IoT-Factory integrieren. Hierfür werden zwei Handarbeitsplätze in die Anlage eingebaut. „Wir können auf diese Weise untersuchen, wie eine automatisierte Anlage aus der industriellen Fertigung mit Menschen interagiert“, erläutert Reusch. Dabei geht es insbesondere um die Entwicklung von datengetriebenen Diensten, welche die Arbeit von Beschäftigten an der Anlage unterstützen und beispielsweise erkennen, ob ein Mensch Hilfestellungen benötigt. „Der Mensch ist auch in großen Industrieunternehmen weiterhin Bestandteil der Fertigung und kommt insbesondere bei individualisierten Prozessen zum Einsatz, die kaum zu automatisieren sind“, so Reusch. Ist das humanzentrierte Smart-Service-Lab in die IoT-Factory integriert, entsteht eine ganzheitliche Industrial-Internet-of-Things Plattform (IIoT). Reusch: „Das wird spannend, eröffnen sich damit doch weitere Forschungsfelder, die wir hier am Campus Gütersloh bearbeiten werden.“



Fotos: FH Bielefeld / Patrick Pollmeier