In den vergangenen Jahren erhielt Harsewinkel immer mal wieder Besuch aus der Verwandtschaft der Familie Mendels. Die Familie ist wegen ihres jüdischen Glaubens während der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt gewesen, sodass diese 1939 nach Australien emigrierte. Doch auch nach über 80 Jahren werden die Erinnerungen an die einstige Heimat in der Familie lebendig gehalten. Hiervon zeugt auch der Besuch Bradley Mendels, der in Sydney Anthropologie, Soziologie und Philosophie studiert und sich aktuell auf einer mehrmonatige Reise quer durch Europa befindet. Zuletzt weilte er in Berlin, doch die weitere Erkundung der Hauptstadt muss für einen Besuch der einstigen Heimat seiner Vorfahren warten.
Zunächst begab sich Bradley Mendels auf Spurensuche nach Gütersloh, denn von dort stammte seine Urgroßmutter Käthe Herzberg bevor diese 1926 den Harsewinkeler Karl Mendels ehelichte und nach Harsewinkel zog. Einen Tag später lässt er sich von Gästeführerin Ulla Mußmann Harsewinkel zeigen. Die Stadtführung ist extra auf ihn abgestimmt: Neben den Stationen jüdischen Lebens sind weitere Sehenswürdigkeiten und Wissenswertes zur Harsewinkeler Geschichte in die Führung eingebaut. Unterstützt wird Ulla Mußmann durch ihren Kollegen aus der Interessensgemeinschaft der Gästeführer Herzebrock-Clarholz, Keith Rudman. Als gebürtiger Engländer hilft er an diesem Tag als Dolmetscher aus. Neben dem Stolperstein von Salomon Lorch und der Gedenkhalle in der St. Lucia-Kirche waren das ehemalige Wohn- und Geschäftshaus der Familie am Marktplatz sowie der jüdische Friedhof Anlaufstellen.
Ebenfalls mit von der Partie war der frühere Harsewinkeler Stadtarchivar Eckhard Möller, der viele Jahre zur Geschichte der jüdischen Familien geforscht hat und einen freundschaftlichen Schriftverkehr mit dem Großvater des Besuchers pflegt. „Paul Mendels besuchte Harsewinkel zuletzt 2009 gemeinsam mit seiner Enkelin Leora“, erinnert sich Eckhard Möller und freut sich, dass er nun den jüngsten Enkel von Paul Mendels kennenlernt. Er verrät: „Eine Ähnlichkeit zu den anderen Familienmitgliedern ist unverkennbar.“ Unterwegs hat der ehemalige Stadtarchivar einen spontanen Einfall und schlägt einen Besuch des einstigen Gasthofes Wilhalm vor. Dort hatten Käthe und Karl Mendels 1926 ihre Hochzeit gefeiert.
Während eines abschließenden gemeinsamen Beisammensitzens bei Kaffee und Kuchen begrüßt der stellvertretende Bürgermeister Andreas Hanhart den Besucher und überreicht diesem als Andenken eine Packung „Harsewinkeler Pferdeäppel“ und einen von Bürgermeisterin Sabine Amsbeck-Dopheide persönlich verfassten Brief für den Großvater mit Grüßen aus der einstigen Heimat. Zum Abschied verspricht der Besucher ganz sicher noch einmal wiederzukommen, denn bei dem herzlichen Empfang habe er sich sehr wohl gefühlt. Reich an neuen Eindrücken setzt er nun seine Reise durch Deutschland fort. Zunächst werde es zurück nach Berlin gehen, danach wolle er weitere Städte besuchen bevor er über Paris die Heimreise antrete.
Auch der Gasthof Wilhalm birgt Spuren jüdischen Lebens: 1926 feierten Bradley Mendels‘ Urgroßeltern Kate und Karl Mendels im Festsaal ihre Hochzeit. Von links: Die Gütersloher Stadtarchivarin Julia Kuklik, Gästeführerin Ulla Mußmann, Stadtarchivarin Nicole Kockentiedt, Stadtarchivar i.R. Eckhard Möller, Gästeführer Keith Rudman, Bradley Mendels.
Auf dem jüdischen Friedhof besucht Bradley Mendels das Grab seines Ur-Ur-Großvaters David Mendels. Dieser gründete gemeinsam mit seinem Bruder Albert 1888 am Marktplatz in Harsewinkel einen Textil- und Viehhandel. Heute befindet sich an der Stelle des einstigen Wohn- und Geschäftshauses der Familie das Modehaus Horsthemke.
In den Archivalien des Stadtarchives findet Bradley Mendels spannende Hinweise auf das Leben und Wirken seiner Vorfahren. Stadtarchivarin Nicole Kockentiedt (rechts) zeigt eine Eintragung aus dem Jahr 1888 als sich David und Albert Mendels mit ihren Familien in Harsewinkel niederlassen. Links im Bild: Die Gütersloher Stadtarchivarin Julia Kuklik.
Bradley Mendels‘ Großvater Paul Mendels trägt sich im Beisein von Harsewinkels Bürgermeisterin Sabine Amsbeck-Dopheide (Mitte) ins Goldenen Gästebuch der Stadt ein. Als Kind erlebte Paul Mendels die Flucht der Familie vor dem Nationalsozialismus, doch die einstigen Freunde aus Harsewinkel sind ihm stets in Erinnerung geblieben. 2009 besuchte er die frühere Heimat gemeinsam mit seiner Enkelin Leora (links).
Auch abseits der Geschichte seiner Vorfahren entdeckt der Besucher aus Australien sehenswertes. Insbesondere der Spökenkieker begeistert den an Kunst- und Bildhauerei interessierten Studenten.
(Fotocredits Stadt Harsewinkel)